„Die Schwangerschaft ist ein einzigartiges Zeitfenster, um Gesundheitsförderung nachhaltig zu verankern.“
Ein Interview mit der Arbeitsgruppe „Prävention in der Schwangerschaft“
Die Schwangerschaft bietet eine optimale Gelegenheit, präventive Maßnahmen für Mutter und Kind zu verankern und so die Gesundheit von werdenden Familien zu stärken. Dafür braucht es auch eine enge Vernetzung der verschiedenen Stakeholder in der Schwangerenversorgung.
Wir haben mit unseren Doktorandinnen Katharina Rink, Hannah Lintener und Franziska Geukes aus der Arbeitsgruppe „Prävention in der Schwangerschaft“ darüber gesprochen, welche Bedeutung Prävention in der Schwangerschaft hat und wie sie verschiedenen Berufsgruppen aus diesem Bereich zusammenbringen.
Projektverantwortliche
Prof. Dr. Falko Sniehotta
Abteilung Public Health, Sozial- und Präventivmedizin
Medizinische Fakultät Mannheim
der Universität Heidelberg
Alte Brauerei
Röntgenstr. 7, 68167 Mannheim
Projektkoordinierende
Hannah Lintener
Alte Brauerei
Röntgenstr. 7, 68167 Mannheim
Warum ist die Schwangerschaft ein besonderes Gelegenheitsfenster für Gesundheitsprävention?
„Die Schwangerschaft ist zum einen ein Stresstest für den Körper der Mutter. Während der Schwangerschaft können bestimmte Schwangerschaftserkrankungen auf eine bereits bestehende Überforderung des Körpers hindeuten und als Warnsignal für langfristige Gesundheitsrisiken dienen. Die regelmäßigen Untersuchungen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge ermöglichen dabei eine kontinuierliche Betreuung und Beratung, bei der Bedarfe und Risiken zeitnah erkannt und angegangen werden können.
Gleichzeitig sind werdende Eltern während der Schwangerschaft häufig offener und motivierter gegenüber Änderungen in ihrem Gesundheitsverhalten, da sie so die Gesundheit des ungeborenen Kindes und den Schwangerschaftsverlauf positiv beeinflussen möchten. Außerdem kann sich gesundheitsförderliche Verhalten während der Schwangerschaft auch langfristig positiv auf die Gesundheit von Mutter und Kind auswirken.“
Wo gibt es Verbesserungsbedarfe in der Schwangerenversorgung in Deutschland? Vor welchen Herausforderungen stehen Akteur:innen und Schwangere?
„Grundsätzlich wird über die Mutterschaftsrichtlinie eine umfassende medizinische Betreuung rund um die Schwangerschaft gewährleistet. Allerdings sind die Akteur:innen in der Schwangerenversorgung, wie Gynäkolog:innen, Hebammen und weitere Gesundheitsfachkräfte, mit zunehmenden Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehören das höhere Durchschnittsalter der Schwangeren, mit dem Komplikationen zunehmen können, komplexe Erkrankungen sowie einer Zunahme von Adipositas. Das aktuelle Versorgungssystem ist darauf nicht ausgerichtet. Auch der bestehende Hebammenmangel erschwert die kontinuierliche Versorgung während und nach der Schwangerschaft.“
Wie kann die Vernetzung unterschiedlicher Akteur:innen im Gesundheitssystem dabei helfen, diese Herausforderungen anzugehen?
„Eine gute Vernetzung von Gesundheitsdienstleistern im Bereich der Schwangerenversorgung trägt zu einer ganzheitlichen, effizienteren und individuelleren Betreuung bei. Neben der medizinischen Versorgung können auch soziale sowie psychologische Aspekte in die Betreuung integriert werden. Außerdem unterstützt die Vernetzung dabei, Patientinnen gezielt an die passenden Anlaufstellen zu vermitteln, etwa bei speziellen Erkrankungen oder sozialen Herausforderungen. Vernetzte Strukturen verbessern den Informationsfluss, so dass Risiken schneller erkannt und Doppeluntersuchungen verhindert werden können. Ressourcen werden sinnvoller genutzt und der Zugang zu Versorgung wird erleichtert, was wiederum das Sicherheitsgefühl und die Zufriedenheit der Schwangeren erhöht.
Auch für uns Forschende ist die Vernetzung zu Akteur:innen aus der Gesundheitsversorgung essenziell, da wir im Dialog mit ihnen Forschungsvorhaben entwickeln und vorantreiben können, die an den Bedarfen der Praxis orientiert sind.“
Ihr habt bisher zwei Events zur Vernetzung von Akteur:innen in der Schwangerenversorgung organisiert. Dabei habt ihr auch Diskussionsrunden veranstaltet. Wie ist es euch gelungen, Leistungserbringer wie Gynäkolog:innen und Hebammen zusammenzubringen?
„Durch die enge Zusammenarbeit mit der Frauenklinik der Universitätsmedizin Mannheim verfügen wir bereits über ein gutes Netzwerk aus ambulant und stationär tätigen Gynäkolog:innen, Hebammen sowie dem öffentlichen Gesundheitsdienst. Diese sprechen wir für unsere Veranstaltungen an und sie unterstützten uns wiederum dabei, weitere wichtige und potentiell interessierte Stakeholder zu gewinnen. Darüber hinaus haben wir für die vergangenen World Cafés eine umfangreiche Bewerbung mit Flyern per Post veranlasst.
Die regelmäßig von uns organisierten Veranstaltungen sollen den Teilnehmenden einen konkreten Mehrwert bieten. Dafür versuchen wir Themen zu integrieren und ein Format zu schaffen, welches die Leistungserbringer anspricht. Das können beispielweise Inhalte sein, die in der Praxis Anwendung finden, aber auch die Vernetzung mit anderen oder die Möglichkeit, Ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Zudem können Ärzt*innen oder Hebammen durch die Teilnahme auch Fortbildungspunkte sammeln.“
Welche Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht besonders relevant oder vielversprechend? Gibt es Beispiele aus der Forschung für innovative und erfolgreiche Ansätze, die als Orientierung dienen könnten?
„Ein Bereich, der bisher beinahe gänzlich in der Versorgung fehlt, ist die Prävention vor der Schwangerschaft. Ein niederländisches eHealth-Programm zur Gesundheitsprävention vor und während der Schwangerschaft zeigt vielversprechende Ergebnisse: Paare mit Kinderwunsch durchlaufen ein Lebensstil-Screening zur Ermittlung individueller Risiken und erhalten darauf basierend personalisiertes Coaching, unterstützt durch Push-Nachrichten und Voucher. Die wissenschaftliche Auswertung belegt eine Verbesserung des Lebensstils (mehr Obst und Gemüse, weniger Rauchen und Alkohol, höhere Folsäure-Einnahme). Solche Programme bieten großes Potenzial für die präventive Versorgung – ergänzend zum persönlichen Kontakt mit medizinischem Fachpersonal.
Ein weiterer Verbesserungsbedarf besteht in der Vor- und Nachsorge bei Risikoschwangerschaften. Aktuell ist die Versorgung fragmentiert, was den Zugang erschwert und Informationsverluste begünstigt. Strukturiert aufgebaute Programme in regionalen Care-Strukturen könnten hier Abhilfe schaffen – sie fördern die Zusammenarbeit der Versorgenden und senken gesundheitliche Risiken sowie Kosten. Ein Orientierungsbeispiel aus der klinischen Versorgung ist der Einsatz von Familienlots:innen, die belastete Familien frühzeitig identifizieren und gezielt an passende Hilfen weitervermitteln.
Auch Hitzeschutz für Schwangere wird durch den Klimawandel immer mehr an Bedeutung gewinnen, da Schwangere auch eine Risikogruppen gegenüber Hitzeereignissen darstellen.“
Gab es im Rahmen des Projektes bisher eine besonders überraschende oder unerwartete Erkenntnis, die Ihre Perspektive auf das Thema verändert hat?
„Eine Erkenntnis ist – wenn auch keine besonders überraschende -, dass Zeitmangel und fehlende finanzielle Anreize (z.B. im Sinne einer Vergütung über die Krankenkassen bei Beratung zu Prävention) die größten Barrieren zur Förderung und Integration von Interventionen zu Gesundheitsförderung und Prävention darstellen. Eine weitere Erkenntnis ist, dass sich alle an der Versorgung Beteiligten Akteur:innen einig sind, dass das präventive Potential rund um die Schwangerschaft stärker genutzt werden muss. Die Herausforderung liegt in der praktischen Umsetzung dieses Wissens. Zwar gibt es bereits vielversprechende Initiativen und Angebote, doch es fehlt an einer effektiveren Bündelung dieser Ansätze. Dafür muss der Vernetzungsgedanke zwischen den Berufsgruppen noch stärker in die Praxis getragen werden.“